12 Einladungen an uns selbst

Um Veränderungen herbeizuführen,
darf man keine Angst haben, den ersten Schritt zu tun.
Wir werden scheitern,
wenn wir daran scheitern es zu versuchen.

Rosa Parks

Die folgenden 12 Punkte sollten uns Bürgerinnen und Bürger der Zivilgesellschaft dazu einladen und ermutigen, unsere Haltung in Bezug auf die Art wie wir konsumieren, uns ernähren, reisen und auf welche vielfältige Weise wir auf gute, aber auch auf zerstörerische Weise mit der Welt verbunden sind noch bewusster zu hinterfragen. Es geht dabei vor allem um unser Handeln und Unterlassen im Alltag. Es geht darum, darüber nachzudenken, was wir eigentlich brauchen um ein gutes Leben zu führen. Es geht dabei nicht um eine Frage der Schuld. Es geht nicht darum, aus einer vermeindlich moralischen Überlegenheit heraus anderen Menschen etwas vorzuwerfen oder ihnen gar vorzuschreiben, wie sie zu leben haben. Es geht um Einegverantwortung, es darum, die konventionellen und alles durchdringenden Zwänge zur Selbst- und Weltoptimierung hinter uns zu lassen. Es geht um universelle Werte des Zusammenlebens als eine Art Minimalkonsens, auf die wir uns als Gesellschaft beziehen können und zu deren Umsetzung wir uns lose aber doch klar und bestimmt zusammenschließen können. Diese 12 Punkte bilden ein Ideal, an dem wir uns orientieren können und mit deren praktischer Umsetzung wir sofort selbst und gemeinsam beginnen können.

1.

MOBILITÄT

Wir verzichten auf Flugreisen, Kreuzfahrten und motorisierten Individualverkehr.

Auch wenn wir mit diesem Punkt gleich zu Beginn viele Menschen zum Weinen bringen werden: Wir befreien uns weitestgehend von energieaufwändigen Formen der Mobilität. Das hat viel weniger mit Verzicht zu tun als mit dem Anstand, einige unserer gewohnheitsmäßigen Privilegien gründlich zu hinterfragen.

2.

TOLERANZ

Wir begreifen uns als Teil einer bunten, weltoffenen und toleranten Gesellschaft.

Auch wenn es eine Selbstverständlichkeit sein sollte: Wir treten aktiv und mit Geduld gegen direkte und subtile Formen von Vorurteilen, Rassismus, Frauenfeindlichkeit und Homophobie ein – auch bei uns selbst.

3.

GEMEINSCHAFT

Wir vernetzen uns aktiv, lernen uns kennen und unterstützen einander.

Es kann anstrengend aber auch bereichernd sein, sich als Teil einer Gemeinschaft zu erleben, egal ob auf der Arbeit, in der Partnerschaft, als Familie, als selbst gewählte Gemeinschaft oder in Nachbarschaft zueinander. Wichtig ist es, das Zusammenleben immer mehr zu üben und sich einen Zusammenhalt zu erarbeiten, in dem wir uns wohl fühlen und in dem wir uns entfalten können.

4.

KREATIVITÄT

Wir bilden uns poetisch, künstlerisch und spirituell weiter.

Ein Bild zu malen, ein Buch zu lesen oder ein Gedicht zu schreiben sind relevante Methoden, um den multiplen Krisen unserer Zeit etwas entgegen zu setzen. Auf diese Weise entsteht innere Balance, Selbstwirksamkeit, Glück und ein tieferes Verständnis für uns selbst und die Welt in der wir leben.

5.

KONSUM

Wir kaufen gebraucht, reparieren, teilen, tauschen und stellen Dinge selber her.

Wir haben von allem viel zu viel. Ob Fast Fashion, Fast Food oder geplante Obsoleszenz: wir sorgen durch unser Konsumverhalten dafür, dass für unseren Bedarf möglichst keine neuen Konsumgüter produziert werden. Das gilt auch für konventionell produzierte Bücher zum Thema Kapitalismuskritik, gesellschaftlicher Wandel und Degrowth. Wir organisieren regionale Dienstleistungen und nachbarschaftliche Hilfen. Im Lokalen endkommerzialisierte Räume zu schaffen ist eine subversive und sozial hochgradig aktive Handlung.

6.

ENGAGEMENT

Wir engagieren uns politisch, aktivistisch und sozial.

Onlinepetitionen zu unterzeichnen und zu einer ethischen Bank zu wechseln ist gut, reicht aber nicht. Auch die konventionellen Formen repräsentativer Demokratie gehen längst nicht weit genug. Wir müssen uns gesellschaftlich radikal für Gerechtigkeit, Frieden und Diplomatie einsetzen. Empört euch, engagiert und organisiert euch als lokale, demokratische Gemeinschaft.

7.

ERNÄHRUNG

Wir gärtnern und ernähren uns weitestgehend vegetarisch oder vegan.

Die Weise, wie wir uns ernähren macht einen riesigen Unterschied. Deshalb kaufen wir so konsequent wie möglich immer mehr biologische und regionale Lebensmittel und gehen sorgsam mit diesen um. Wenn wir uns die Möglichkeit schaffen, unsere Nahrungsmittel auch in Teilen selber anzubauen und zu verarbeiten, machen wir persönlich und zivilisatorisch einen riesigen Schritt.

8.

SPIELEN

Wir singen und spielen zusammen und allein.

Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt. Wenn wir immer weniger konsumieren und uns nicht nur über unseren Job definieren, haben wir viel mehr Zeit zum Spielen und Experimentieren. Wir können künstlerisch, musisch und wissenschaftlich die Welt in all ihren Facetten erkunden, uns selbst und die Welt so besser kennenlernen und in einem erweiterten Sinne Karriere machen.

9.

GESUNDHEIT

Wir halten uns mental und körperlich gesund.

Unsere psychische und physische Gesundheit ist unser höchstes Gut. Körperliche Bewegung, positives Denken aber auch meditative Praxis, Yoga & Tai-Chi bieten eine gute Grundlage, um sich mit den weiteren, unsichtbaren Ebenen des Lebens zu verbinden.

10.

SCHÖNHEIT

Wir poetisieren uns und die Welt.

Wenn wir weniger mit Erwerbsarbeit und Konsum beschäftigt sind, haben wir mehr Zeit für die Schönheit der Welt, die uns überall umgibt und durchdringt. Wir finden sie, wenn wir uns die Zeit nehmen sie zu suchen. Wir finden sie in der Natur, in Kunst und Poesie, im freien Spiel eines Kindes. Wir finden sie draußen im Kosmos und in unseren eigenen Gedanken und ethischen Handlungen.

11.

TECHNOLOGIE

Wir gehen sorgsam mit digitalen Ressourcen um.

Der Glaube an mehr Technologie als Lösung unserer zivilisatorischen Probleme hindert uns daran, unsere Haltung gegenüber der Welt zu verändern. Die digitale Welt wird nicht nur immer ressourcenintensiver, sie sammelt auch unsere Daten, um uns und unseren Kindern mit Hilfe ihrer Algorithmen immer mehr passgenaue Werbung ins Wohnzimmer zu schicken. Wir bemühen uns grundsätzlich, weniger statt mehr mit unserem Handy zu verschmelzen und bewusster digital zu konsumieren.

12.

RESILIENZ

Wir hinterfragen und überwinden unsere Konventionen.

Wir verstehen die multiplen Krisen, in denen wir immer häufiger stehen als eine Einladung an uns selbst, uns kulturell sehr grundlegend zu verändern. Wir versuchen, diese Krisen nicht schnell, sondern gründlich zu verstehen; wir balancieren Widersprüchliches in uns aus. Dazu gehört es auch, unsere konventionellen Konzepte von Aktivismus, Fortschritt, lösungsorientiertem Denken und Hoffen kritisch zu hinterfragen.

Dieses Konzept der Einladungen an uns selbst ist von vielen verschiedenen Sichtweisen und Ideen inspiriert. Insbesondere von dem Konzept des Terrestrischen, wie Bruno Latour es entwickelt hat, den Ideen einer Postwachstumsgesellschaft, wie Niko Paech sie mir erklärt hat, und dem Bild einer Sozialen Plastik, wie Joseph Beuys es unter Einbeziehung der Idee einer Dreigliederung des sozialen Organismus verstanden hat. Es ist von der Vorstellung einer Metamorphose der Welt, den Ideen des Kulturphilosophen Charles Eisenstein und denen eines Postaktivismus inspiriert, wie Bayo Akomolafe sie beschreibt. Zuletzt seien als Inspiration die erfrischend radikalen „66 Punkte an die Letzte Generation“ erwähnt, mit deren Hilfe Helge Peukert das Kunststück gelingt, Widersprüchliches miteinander zu versöhnen, weil diese 66 Punkte so wunderbar utopisch anmuten und dennoch ganz konventionell an realpolitische Tradition anknüpfen.

Dieser Text darf und soll diskutiert und weitergereicht werden. Kein Copyright.